Heute möchte ich gerne etwas sehr Persönliches mit dir teilen und besprechen. Immer wieder in unserem Leben als Pädagogen oder auch als Eltern begegnen uns Situationen, die uns sehr herausfordern. Manchmal sind es eher kleine Herausforderungen, aber manchmal sind sie auch wirklich groß und häufig! Wohl dem, der in der Beziehung zu den herausfordernden Kindern ein großes Lernfeld sehen und seine Chance auf persönliches Wachstum erkennen kann. Ich begleite zurzeit so ein Kind sehr intensiv in der Schule. Die Geschichte des Kindes ist traurig, dramatisch, erklärt viele Verhaltensweisen, ist aber eben auch nicht rückgängig zu machen und bringt einige Probleme in sozialen Kontexten mit sich. Nun habe ich also täglich mit diesem Kind zu tun und es beschäftigt mich sehr. Manchmal träume ich von ihm, manchmal wache ich nachts auf und kann nicht mehr einschlafen, weil meine Gedanken um dieses Thema kreisen. Manchmal bin ich verzweifelt, weil ich so gerne die richtigen Entscheidungen treffen möchte, aber nicht so sicher bin, welche das sind. Manchmal bin ich überglücklich, wenn ich kleine Fortschritte erkenne und unsere Beziehung wieder ein Stück tragfähiger erscheint. Dieses Kind ist so liebebedürftig und ich mag es sehr! Aber dann gibt es auch wieder Rückschritte. Viele mögen jetzt denken, wie unprofessionell das ist, denn als Lehrerin soll man ja einen professionellen Abstand wahren und berufliche von privaten Angelegenheiten trennen. Da gehe ich ab einem bestimmten Punkt mit. Aber erst ab einem bestimmten Punkt. Bis dahin arbeite ich als Lernbegleiterin mit einem offenen Herzen, mit Leib und Seele. Die Beziehungen, die ich in der Schule eingehe, sind echte Beziehungen. Sie sind nicht reduziert auf meine Lehrerrolle – sie gehen durch mein ganzes Ich. Deswegen kann ich nicht meinen „Lehrermantel“ am Schultor ausziehen, an den Nagel hängen und am nächsten Tag wieder anziehen. Das ist normalerweise auch kein Problem. Es wird nur dann etwas anstrengend, wenn mir Kinder begegnen, die mich besonders beschäftigen und eben herausfordern.
Nun ist der Kontakt mit diesen Kindern aus verschiedenen Gründen so intensiv (wenn es das eigene ist, erklärt es sich ja von selbst). Zum einen trage ich ein Stück der Verantwortung für die Zukunft dieses Kindes. Die Entscheidungen, die getroffen werden, bestimmen ja teilweise maßgeblich den weiteren Werdegang. Und zum anderen – und darum geht es mir jetzt gerade – hat mein tägliches Verhalten einen riesigen Einfluss.
Es gibt viele Momente, in denen ich keine Zeit habe, in Ruhe darüber nachzudenken, wie ich jetzt am besten reagieren sollte. Es gibt Situationen, in denen ich unter Druck gerate, weil Aggressionen und Gewalt im Spiel sind und ich gleichzeitig die Verantwortung für den Schutz aller meiner Schüler trage. Es gibt Augenblicke, da bin ich bereits von den durchlebten Herausforderungen erschöpft und nicht mehr in meiner 100%igen Kraft. In diesen Momenten passiert es manchmal, dass mein Verhalten meinem kritischen Urteil in der Retrospektive nicht standhält. Wenn ich also dann zu Hause zur Ruhe komme und den Tag reflektiere, finde ich, dass ich mich an dieser oder jener Stelle nicht optimal verhalten habe, nicht die bestmögliche Reaktion gezeigt habe. Das macht mir zu schaffen. Es belastet mich und dann geht es mir nicht immer gut. Aber gleichzeitig führt es auch dazu, dass ich darüber nachdenke, wie ich es besser machen kann. Ich visualisiere mir Lösungsmöglichkeiten für die nächste brenzlige Situation – und die kommt ganz bestimmt! Und so habe ich täglich die Chance, es besser zu machen als beim letzten Mal. Diese Chance sehe ich auch als solche. Und ich bin sehr froh darüber. Denn niemand ist perfekt und im Nachhinein weiß man vieles besser. Ich versuche also, nicht zu streng mit mir zu sein und mich stattdessen weiterzuentwickeln.
Und das möchte ich dir gerne als Denkanstoß, Gedankengang, Inspiration oder was auch immer, mitgeben.
Gib dein Bestes! Reflektiere das Geschehene. Erkenne, was gut gelaufen ist und sei zufrieden mit dir! Und wenn etwas nicht gut gelaufen ist, mach dich nicht fertig. Sondern überlege, wie du es beim nächsten Mal besser machen möchtest. Geh die Situation richtig in deinem Kopf durch und stell dir genau vor, wie du dich verhalten wirst. Je genauer deine Vision davon ist, desto größer die Chance des Gelingens.
Für mich geht es dabei um die Balance zwischen Authentizität und Professionalität; die Balance zwischen Akzeptanz der eignen Gefühle/ Verhaltensweisen und der Bereitschaft zur Weiterentwicklung; um das Streben nach der besten Version von sich selbst, ohne sich dem Druck von Perfektion auszusetzen; darum, sein Gegenüber und seine Bedürfnisse zu respektieren, aber gleichzeitig auch die eigenen Grenzen wahren. Klingt manchal leichter, als es ist 😉
Und nicht zuletzt steckt in diesen Situationen auch immer die Chance ein gutes Vorbild für „seine“ Kinder zu sein. Sich für Dinge zu entschuldigen, die man nicht so gewollt hat, ist ein wichtiger Teil in der Beziehungspflege. Es zeigt unserem Gegenüber: Ich reflektiere, ich nehme dich ernst, ich stelle mich nicht über dich! Und du bist mir wichtig!
Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, meine Gedanken dazu zu lesen!
Ich weiß, viele von euch erleben regelmäßig herausfordernde Situationen mit ihren eigenen oder den ihnen anvertrauten Kindern.
Kennst du solche Situationen? Wie gehst du mit dieser Thematik um? Was hilft dir?
Liebe Jo Jo, leider ist es sehr schade, dass diese Ansicht leider nur wenige deiner Kollegen, Betreuer, Eltern teilen. Ich denke nicht , dass viele dies vorsätzlich tun. Jedoch denke ich mir, wie kann es sein, dass Menschen die mit ihnen anvertrauten jungen Menschen arbeiten , sich oft in der Zwickmühle des sogenannten professionellen Abstandes zu befinden? Wer definiert die Professionalität des Abstandes? Eine gesunde Beziehung, kann nur durch eine zuvor entstandene Nähe entstehen. Nähe bedeutet für mich, ein Interesse, eine Zuneigung, eine Empathie, eine Schwäche, im gegenseitigem Austausch zu haben. Das kann immer mehr oder weniger intensiver sein-das ist menschlich und das kann man nicht steuern. Wieso darf ich als Lehrer nicht traurig über die Situation eines, in dem Falle auch noch jungem Menschen sein? Wieso soll ein solches Gefühl, dass nicht nach Dienstschluss weggesperrt werden kann, die Professionalität gefährden? Wir arbeiten mit Menschen und sollen welche Vorschriften wahren? Ich finde, Erfahrungen und Erlebnisse, Empfindungen mit nach Hause zu nehmen ist einzig und allein deine Entscheidung /bzw kann nicht durch eine Vorgabe abgelegt werden. Wie sonst, kannst du für dich eben genau zu dieser Erkenntnis kommen. Es ist wichtig Mitgefühl zu haben, gerade in den Bereichen, in denen junge Menschen bereits Schicksale erlebt haben, keine Bindungen sozial kompetent eingehen können. Nur so kann man Ansätze finden , vor allem sich austauschen und zu Erkenntnissen kommen, die man am Arbeitsplatz nicht erreichen kann. Wichtig ist, man kann sich von seinen vertrauten Personen Anregungen , Mut, Lob, Hilfestellungen geben lassen-wir nennen es Psychohygiene -Smiley-in unserem Bereich. Ich musste, das jetzt los werden, weil meist diese Schlagwörter professionelle Distanz, mittlerweile den faden Beigeschmackes einer Gesellschaft haben, die sich an Leistung, Konsum und Oberflächlichkeiten orientiert . Ein Mitgefühl wird als unprofessionelle Distanz deklariert. Wer fällt hinunter? Der hilfesuchende junge Mensch-der nach Plan B geformt wird, falls die Form nicht passt gibt es Plan C und das war es….weil es unprofessionell ist, sich mit dem traurigen Schicksal eines Menschen über die Arbeitszeit hinaus zu beschäftigen?
Ich nehme natürlich ,besonders mir nahe stehenden Pat. mit nach Hause. Heißt ich mache mir auch nach der Arbeitszeit öfter mal Gedanken, in schwierigen Situationen hinterfrage ich mich etc.Erkenne meine Anteile bei schwierigen Situationen. Fühle mich schlecht, weil es doch so wenig Möglichkeiten für die kleinen Hilfesuchenden gibt. Freude über gelungene Herausforderungen nehme ich auch mit nach Hause, bade mich noch darin-Smiley- Der nach Hause Weg beginnt mit einem Abschied von jedem unserer Klienten. Manchmal bleibt der eine halt noch bisschen länger. Ich fühle mich deswegen nicht unprofessionell distanziert-ich fühle mich als Mensch-der will ich sein ,der will ich bleiben. Ich danke hier an dieser Stelle meinem Team Psychohygiene für ihre Einsatzbereitschaft-
Interessant empfinde ich auch, dass Überstunden im Bankwesen, in Unternehmen, in Dienstleistungsfirmen, in Krankenhäusern etc. als Einsatzbereitschaft deklariert und erwartet werden. Wie schaut es dort mit der professionellen Distanz zum Arbeitsplatzgeber aus?
….kleiner Nachtrag: Dies sollte Gedanken dazu sein, warum es nur wenige pädagogisch ausgebildete Menschen gibt, die sich über ihren erlernten Horizont Gedanken machen. Letztendlich weil sie in genau bestehenden erfolglosem Lernsystem gelernt und hinein gewachsen sind. Angst haben sich über vorgeschriebene Lerninhalte hin weg zu setzen -sich neu zu probieren-dickes dickes Herz für dich
Liebe Christiane, vielen Dank für deine ausführliche Rückmeldung! Es klingt, als hätte meine Aussage einen Nerv bei dir getroffen! Ich bin da ganz bei dir! Alles Liebe für dich!